Amicus Personal 21. Juni
Die Vier-Tage-Woche
Die Vier-Tage-Woche

32 Stunden an vier Tagen bei vollem Lohnausgleich?

Amicus unterstützt Unternehmen bei der Suche nach neuen Talenten. Wir sind als Vermittler dafür zuständig die Erwartungen der Bewerber* und die Anforderungen der Unternehmen unter einen Hut zu bringen. Auch wir fragen uns, wie wir neue Talente für unsere Kunden begeistern können. Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Damit einher gehen neue Herausforderungen, aber auch neue Chancen. Der Fachkräftemangel setzt jedem Unternehmen zu und gleichzeitig soll unsere Arbeitswoche von fünf auf vier Tage schrumpfen. Konkret heißt das weniger Arbeitsstunde bei gleichem Gehalt. Einige Unternehmen haben dieses Konzept bereits übernommen und auch bei den Arbeitnehmern findet es großen Zuspruch. Das 100-80-100-Prinzip wurde in England auf die Probe gestellt und sorgt nun im deutschen Bundestag für hitzige Debatten. Es wird so genannt, da bei 100% Produktivität und 80% Arbeitszeit der Lohn zu 100% ausgezahlt werden kann. Die Produktivität könne durch die Anpassung von Workflows gleichbleiben, so die Theorie.

Kann die Vier-Tage-Woche wirklich die Lösung für den Fachkräftemangel sein? Hierzu sollen erstmal Vor- und Nachteile der 4-Tage-Woche gegenübergestellt werden. Wir verschaffen euch in diesem Blogartikel eine Übersicht über die aktuelle Debatte und geben euch Anhaltspunkte für die eigene Meinungsbildung an die Hand.

Eine Gegenüberstellung

Sicherlich eines der unumstrittensten Pro-Argumente für eine Vier-Tage-Woche ist eine gesteigerte Work-Life-Balance, die im Endeffekt zu einer Stressreduktion führt. Ein freier Tag mehr in der Woche heißt mehr Zeit für den Haushalt, für soziale Kontakte, für Sport, für ein Ehrenamt, zur Entspannung, für die persönliche Weiterentwicklung und vor allem für viele arbeitende Eltern, mehr Zeit mit den Kindern. In dieser Zeit wird Energie aufgeladen, die im Job umgesetzt werden kann.

Auf der Contra-Seite scheint es jedoch schwierig die Produktivität auf dem gleichen Niveau zu halten. Bei einer 32 Stunden Woche könnte es zu Verzögerungen und Qualitätsverlusten kommen, so der Mercedes-Vorstandschef Olaf Källenius. Wenn es unsere erste Priorität sei, bei vollem Lohnausgleich weniger zu arbeiten, gewännen wir international kein Spiel mehr, sagte Källenius im Interview. Die Industrie befände sich in einer Jahrhundert-Transformation. Da müsse man die Ärmel hochkrempeln, um am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Arbeitspensum müsse eher steigen, so der Tenor der Neo-Liberalen. Viele befürchten den Einbruch unserer Wirtschaft. Es stellt sich die Frage, wie die Wirtschaft mit verkürzten Arbeitszeiten aufrechterhalten werden kann, da kein Personal am Markt ist. Unternehmen finden niemanden, der zusätzlich eingestellt werden könnte, um die verkürzten Arbeitszeiten auszugleichen. Der sogenannte War-for-talents ist bereits in aller Munde.  Unternehmen, die die Vier-Tage-Woche einführen, haben größere Chancen als Gewinner dieses Kampfes um die Fachkräfte hervorzugehen. Eine verkürzte Arbeitszeit bei dem gleichen Lohn ist ein unschlagbarer Benefit. Die Vier-Tage-Woche hat Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung. Unternehmen, die sie anbieten positionieren sich dadurch als attraktiver Arbeitgeber und halten Mitarbeiter langfristig im Unternehmen.

Doch selbst wenn mehr Personal eingestellt werden würde, verursachen mehr Mitarbeiter auch mehr Kosten für ein Unternehmen. Und nicht nur das, die Koordination dieser vielen Mitarbeiter untereinander und die Planung ihres Einsatzes wird komplexer. Die Umsetzung der Vier-Tage-Woche kann durchaus eine organisatorische Herausforderung sein. Das berichten auch die Unternehmen, die am Test in England teilgenommen haben. Arbeitsprozesse mussten grundlegend umgestellt werden, damit sie effektiver wurden. Der Start des Versuchs war für einige Unternehmen recht chaotisch. Dieses Chaos könnte Auswirkungen auf den Service und die Kundenzufriedenheit haben. Wird zusätzlich die Service- und Öffnungszeit eingeschränkt, kann es zum Verlust von Kunden kommen.

Aber muss denn wirklich mehr Personal eingestellt werden? Wenn es so funktioniert, wie bei den Briten, dann würde sich an der Produktivität der Arbeitskräfte trotz der kürzeren Arbeitszeit nichts verändern, sobald Prozesse angepasst wurden. Diese Anpassung ist natürlich mit Stress, Kosten und Rückschlägen verbunden und kann in manchen Branchen nicht so einfach über den Tisch gehen.

Das Modell von einer in Teilzeit arbeitenden Mutter, die zusätzlich die Care-Arbeit erledigt und eines vollzeitbeschäftigten Vaters, der sich am Wochenende von dem Stress der Arbeit entspannen möchte, ist auch noch 2023 sehr gängig. Arbeiten beide Partner jedoch im 80%-Modell könnte die Care-Arbeit gleichmäßig aufgeteilt werden. Das erlaubt den Arbeitnehmern stressfrei Arbeit, Erziehung und Haushalt unter einen Hut zu bringen. Wenn wir über „die Teilzeitkräfte“ sprechen, dann sind damit 30 % der Beschäftigten in Deutschland gemeint. Würden nur 10 % davon ihre Arbeitszeit aufstocken, dann wären das ca. eine Millionen Menschen, die 10 Stunden mehr die Woche leisten.

Fraglich bleibt trotzdem wie in Brachen mit Schichtmodell eine Verkürzung mit dem gleichen Personal möglich wäre. Gerade in der Pflege- und Gesundheitsbranche ist es schlecht vorstellbar eine Kürzung auf vier Tage vorzunehmen. Dabei ist es egal wie produktiv das Personal arbeitet. Eine Betreuung der Patienten müsste trotzdem durch eine durchgängige Anwesenheit sichergestellt werden.

Die Historie zeigt, dass die Automatisierung in vielen Branchen Abhilfe schaffen könnte. Henry Ford hatte mit der Einführung der Fließbandarbeit seine Produktion so sehr steigern können, dass er die Arbeitswoche damals von sechs auf fünf Tage kürzen konnte. Wenn so ein Großkonzern den ersten Schritt erfolgreich macht, folgen weitere. In der Pflege zum Beispiel könnten Roboter einige Arbeiten übernehmen, sodass Schichten mit weniger Personal besetzt werden könnten – Zukunftsmusik für viele, da die Automatisierung nur mit dem Einsatz von Budget, das in der krisenhaften Zeit nicht vorhanden ist, umgesetzt werden kann.

Ein vorläufiges Fazit

Es stehen uns noch einige Herausforderungen mit vielen Fragen bevor, bis wir unsere Woche auf vier Tage reduzieren können. Zum Beispiel Fragen zum Arbeitsrecht: Wie wäre der Urlaubsanspruch bei vier Tagen die Woche? Und wie können Arbeitsmodelle sinnvoll und fair für alle gestaltet werden? Sinnvoll ist es auf jeden Fall Arbeitszeiten flexibel zu halten und individuell anzupassen. Außerdem sollten Gehälter auf ein faires Niveau für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebracht werden. Stück für Stück können Prozesse automatisiert und Workflows vereinfacht werden, wodurch sich Zeit einsparen ließe, die im Endeffekt den Arbeitnehmern zugutekommen könnte. Vielleicht ist dann in individuellen Fällen die 4-Tage-Woche eine sinnvolle Lösung. Wir bleiben gespannt was die Zukunft noch an Veränderungen mit sich bringt.

* Für eine bessere Lesbarkeit wird im vorliegenden Artikel nur das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mit gemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.